Katharina Lisken verbringt im Jahrgang 2019/20 ihren Freiwilligendienst im Spielhaus in Kerava und erzählt von ihren ersten Monaten in ihrer Wahlheimat für ein Jahr.
Das Land
Finnland, ein Land voller Seen, Birken und Kiefern. Die Menschen, die dort leben, strahlen eine innere Ruhe und Zufriedenheit aus, die ich spüren kann, wenn ich durch die Straßen hier ziehe. So einen großen Unterschied zu Deutschland gibt es im ersten Moment gar nicht. Den habe ich auch nicht wirklich erwartet, wir sind hier in einem europäischen Land und an jeder Ecke findet man beispielsweise Läden, die es genauso auch bei uns in Deutschland gibt. Und doch ist es etwas anders hier. Angefangen bei der Kälte: +2 Grad in Deutschland waren echt kalt und man hat sich in extra viele Lagen eingepackt. +2 Grad hier sind schon fast warm. Genau das liebe ich hieran. Zwar war mir vor dem Jahr schon klar, dass ich ein Wintermensch bin, doch diese Selbsteinschätzung wurde mir hier mehr als bestätigt.
Obwohl wir jetzt, Anfang Dezember, noch nicht die großen Schneemassen haben, stecken wir schon mitten im Winter. Die letzten eineinhalb Monate kam es des Öfteren vor, dass plötzlich kleine Schneeflocken vom Himmel fielen.
Die Luft hier in Finnland ist ebenfalls unterschiedlich zu Deutschland. Dank der vielen Bäume hier ist die Luft, selbst in der Stadt, um einiges frischer und man hat das Gefühl freier atmen zu können. Die Natur hier bringt mich regelmäßig zum Staunen. Sie vermittelt mir eine endlose Weite, gerade, wenn man etwas außerhalb von der Stadt ist. Entgegen den typisch finnischen Stereotypen sind nicht alle Finnen verschlossen und unfreundlich.
Gerade in der Kita, wo sowohl Finnen, Deutsche, wie auch Deutsche, die seit langem in Finnland leben, zusammen arbeiten, spürt man eine tiefe Herzlichkeit. Alle sind offen, freundlich, liebenswert und hilfsbereit, was deutlich zu einer guten Arbeitsatmosphäre beiträgt.
Die Menschen, die wir außerhalb der Kita erleben, passen schon eher in die Kategorie, verschlossene, vielleicht auch etwas schüchterne Menschen. Unsere Nachbarn beispielsweise sehen wir kaum und es findet kein Wortwechsel statt und dabei wohnen wir in einem relativ großen Mehrfamilienhaus.
Eingewöhnung
Es hat natürlich etwas gebraucht um sich hier in der Wohnung einzurichten, doch nach dem Auspacken sah es schon viel mehr nach etwas Eigenem aus. Trotzdem hat es bis Anfang September gedauert, bis ich langsam realisiert habe, dass wir hier nicht nur im Urlaub sind, sondern länger bleiben. Die Vorstellung, ein Jahr hier zu sein, war mir noch viel zu unwirklich.
Jetzt, Anfang Dezember spüre und realisiere ich deutlich mehr, was es womöglich heißt ein ganzes Jahr hier und weg von Zuhause zu sein. Wir haben bis jetzt viel erlebt, viel gesehen und so gut wie jedes Wochenende einen Ausflug gemacht. Es ist wahnsinnig interessant, wie viel es in einem neuen Land zu entdecken gibt.
In der Kita war anfangs natürlich auch alles neu und die Tage waren voll von neuen Erfahrungen und Eindrücken. Doch sehr schnell hat sich daraus ein Alltag gebildet mit ähnlichen Strukturen, was mir persönlich sehr geholfen hat meinen Platz hier zu finden. Dadurch wurden die Wochentage etwas ruhiger und ich hatte am Wochenende noch mehr Energie um Ausflüge zu unternehmen, aber sich natürlich auch mal auszuruhen. Man hat mehr Zeit, Finnland zu realisieren und noch mehr zu spüren.
Ich fühle mich natürlich noch nicht als Finne, das braucht, denke ich viele Jahre, aber das Gefühl, wenn man an der Kasse beim Einkaufen für eine Finnin gehalten wird, da man das einfachste versteht und auf Finnisch antworten kann, ist jedes Mal ein kleines Erfolgserlebnis. Auch das Ankommen am Bahnhof hier in Kerava ist mittlerweile ein vertrautes Gefühl. Ich kann sagen, dass wir uns inzwischen hier schon echt gut auskennen.
Arbeitsstelle
Ich arbeite hier in Kerava in einer deutsch-finnischen Kita, dem „Spielhaus“. Dort gibt es drei unterschiedliche Gruppen, die Zwerge (0-3 Jahre), die Riesen (3-5 Jahre) und die Vorschule (6-7 Jahre). Uns wurde die Möglichkeit gegeben, uns in Ruhe die einzelnen Gruppen anzusehen, um herauszufinden, wo genau wir mithelfen wollen. Ich habe mich für die Zwergengruppe entschieden und es war die absolut richtige Entscheidung. Jeden Sonntagabend freue ich mich auf die nächste Woche und auf meine kleinen Zwerge.
Doch nur weil man sich für eine Gruppe entschieden hat, bedeutet das nicht, dass man zu den anderen Kindern keinen Kontakt hat. Das Prinzip im Kindergarten ist sehr offen und so verbringe ich zum Beispiel viel Zeit in der Mittagspause, während meine Kinder schlafen, bei den Riesen in der Gruppe. Generell sind mir alle Kinder und auch die Erzieherinnen sehr ans Herz gewachsen. Meine Aufgaben in meiner Gruppe sind beispielsweise die Unterstützung beim Anziehen, gemeinsames Essen/ auch füttern, schlafen legen und Tränen trösten. Ich verbringe viel Zeit mit Wickeln, was für mich allerdings überhaupt kein Problem ist. Außerdem lese, bastel und spiele ich viel mit den Kindern. Generell brauchen gerade die Kleinsten noch viel Aufmerksamkeit und Zuneigung und die Umarmungen und Kuscheleinheiten gebe ich ihnen gerne. Viele können vielleicht noch nicht richtig sprechen, doch ich bekomme jeden Tag so viel von den Kindern zurück und mittlerweile kann ich beobachten, wie die Kinder das Vertrauen zu mir aufgebaut haben und sich in meiner Gegenwart sicher und wohlfühlen.
In meinem Team fühle ich mich ebenfalls sehr gut aufgehoben, wir machen viele Witze gemeinsam und ich kann egal mit welchem Anliegen auf sie zukommen. Ich übernehme immer mehr Verantwortung und denke mit, was mir schon als positives Feedback zurückgegeben wurde. Meine Aufgaben wurden mir von Tag zu Tag klarer und mittlerweile erledige ich viel aus Eigeninitiative. Ich habe auch immer mehr den individuellen Umgang mit den Kindern erfahren und verinnerlicht. Im Team wurde ich schnell integriert, ich fühle mich dort wohl, wertgeschätzt und wir alle spüren die Dankbarkeit, dass wir da sind und die Erzieherinnen unterstützen.
Zu unseren täglichen Aufgaben gehören auch viele hauswirtschaftliche Tätigkeiten, die nicht unterschätzt werden dürfen. Mittlerweile haben wir jedoch eine gute Routine und das Putzen der Hygienebereiche und der Gruppenräume nimmt nicht mehr allzu viel Zeit in Anspruch. Auch in diesem Bereich ist es schön das Team zu unterstützen und ist jemand von uns mal krank, helfen unsere Kolleginnen ebenfalls beim Putzen.
Glücksmomente
Einer meiner größten Glücksmomente ist zu sehen, welches Vertrauen die Kinder in meiner Gruppe zu mir aufgebaut haben und wie sicher sie sich bei mir fühlen. Morgens werde ich mit offenen Armen und strahlenden Gesichtern empfangen. Einige der Kinder kommen auf mich zugelaufen und wollen auf den Arm genommen werden. Das gibt mir das Gefühl gebraucht zu werden und ich fühle mich dadurch sehr willkommen. Oder auch das Einschlafen auf meinem Arm, wenn unser Kleinster mal wieder zu müde ist und seinen Kopf auf meine Schulter legt. Aber auch das Vertrauen meiner Kolleginnen in mich, ist einer meiner Glücksmomente. Nicht zu vergessen, die Momente, wenn es plötzlich zu schneien beginnt oder ich morgens aus dem Fenster sehe und die schönen Bäume vor unserem Haus mit Schnee bedeckt sind. Die Wahnsinns-Natur hier und die Momente, wo mir intensiv bewusst wird, wie dankbar ich für das alles hier bin, zählen auch zu meinen persönlichen Glücksmomenten.
Als abschließende Worte möchte ich nochmals erwähnen, dass ich für mich die wohl beste Entscheidung getroffen habe und ich sehr glücklich und dankbar bin hier zu sein. Ich bin jetzt schon gespannt, inwieweit ich mich hier verändern und finden werde und ich weiß schon jetzt, dass ich Schwierigkeiten haben werde, mich von all dem hier zu verabschieden. Obwohl ich auch gemerkt habe, dass ich meine Heimat vermisse und dass dort in der Nähe mein Platz für die Zukunft sein wird. Doch natürlich wird Finnland für mich immer ein sehr großer und schöner Teil sein.
„Wenn Sie Ihr Kind heute sauber aus der Kita abholen, hat es nicht gespielt und nichts gelernt.“ Maria Montessori
„Man kann in Kinder nichts hineinprügeln, aber vieles herausstreicheln.“ Astrid Lindgren